Die Stadt Crivitz und der lange Schatten der Kommunalwahl 2024!

22.Okt.2025 /P-headli.-cont.-red./461[163(38-22)]/CLA-297/36-2025

500 Tage ohne neue Ortsteilvertretungen – ein demokratischer Offenbarungseid!

Was sich hier entfaltet hat, ist weit mehr als ein verwaltungstechnisches Missgeschick oder eine bedauerliche Verzögerung. Es ist ein strukturelles Versagen mit Ansage – ein politischer Offenbarungseid. Ein Lehrstück darüber, wie Mitbestimmung ausgehöhlt werden kann: durch taktisches Lavieren, durch beredtes Schweigen, durch eine beunruhigende Mischung aus juristischer Unkenntnis und administrativer Selbstüberschätzung.

Was ist eine Wahl wert, wenn sie keine Wirkung entfaltet? Was bedeutet Demokratie, wenn sie auf Ortsteile nicht angewendet wird? Und was geschieht, wenn Verwaltung und Politik sich in einem Netz aus Taktik, Unkenntnis und Schweigen verfangen? Die Situation in den Ortsteilvertretungen in Wessin und Gädebehn macht deutlich, wie leicht demokratische Verfahren ins Stocken geraten können, wenn politische und verwaltungsrechtliche Prozesse nicht ineinandergreifen.

Am 9. Juni 2024 wählten die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Crivitz ihre neue Stadtvertretung – und mit ihr, so glaubte man, auch die Ortsteilvertretungen für Wessin und Gädebehn. Mit Inkrafttreten der neuen Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommerns wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, Ortsteilvertretungen auf unterschiedliche Weise zu besetzen: entweder durch eine direkte Wahl der Bürgerinnen und Bürger vor Ort, durch ein Benennungsverfahren innerhalb der Stadtvertretung oder – abweichend vom Gesamtergebnis der Kommunalwahl in der Stadt Crivitz – allein auf Grundlage der Wahlergebnisse in den jeweiligen Ortsteilen wie Wessin und Gädebehn. Ein Fortschritt für die lokale Demokratie – theoretisch. Doch was folgte, war kein demokratischer Aufbruch, sondern ein lähmender Stillstand.

Crivitz, 22. Oktober 2025. Ein Datum, das sich wie ein Mahnmal in das Gedächtnis der Ortsteile Wessin und Gädebehn einbrennen sollte. Exakt 500 Tage sind vergangen seit jener Kommunalwahl am 9. Juni 2024 – einem Tag, der für viele Bürgerinnen und Bürger Hoffnung auf Mitbestimmung und neue demokratische Teilhabe bedeutete. Doch diese Hoffnung wurde vertagt, verdrängt, vielleicht sogar bewusst nach hinten verschoben. Denn bis heute wurde keine neue Ortsteilvertretung gewählt, die den Wählerwillen der aktuellen Wahlperiode ab 2024 abbildet. Zwar haben sich die bisherigen Ortsteilvertretungen bereit erklärt, ihre Arbeit kommissarisch fortzuführen – ein Akt der Verantwortung, welcher Respekt abverlangt und der den demokratischen Stillstand zumindest abfedert. Doch diese Übergangslösung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bürgerinnen und Bürger seit eineinhalb Jahren auf eine Neuwahl oder Benennung warten, die ihnen laut Kommunalverfassung längst zusteht. Es fehlt nicht an Engagement vor Ort – es fehlt an politischem Willen und administrativer Klarheit.

Bereits im Juli 2024, zur Konstituierung der neuen Stadtvertretung, stellte die AfD-Fraktion einen Antrag, die Ortsteilvertretungen gemäß der neuen Kommunalverfassung M-V über ein einfaches Benennungsverfahren innerhalb der Stadtvertretung zu benennen. Das Verfahren war rechtlich zulässig, effizient und hätte den Ortsteilen binnen Wochen wieder Handlungsfähigkeit verliehen. Damit das Benennungsverfahren hätte greifen können, wäre eine Einigung aller Fraktionen auf gemeinsame Kandidaten notwendig gewesen. Doch vor allem die Crivitzer Wählergemeinschaft (CWG) unter der Führung von Fraktionschef Andreas Rüß lehnte diesen Weg entschieden und mehrmals ab – und das, ohne zuvor die Bürgerinnen und Bürger in den Ortsteilen zu informieren oder einzubeziehen. Stattdessen setzte die CWG auf direkte Neuwahlen in Wessin und Gädebehn – obwohl es zu diesem Zeitpunkt keinerlei öffentliche Diskussion oder Anhörung in den betroffenen Ortsteilen gegeben hatte.

Die CWG verfolgte offenbar eine Strategie, die auf Machterhalt und Imagepflege in den Ortsteilen abzielte. Durch Neuwahlen hoffte man, die eigene Position in Wessin und Gädebehn auszubauen. Die CDU-Fraktion sowie das neu gegründete Bündnis für Crivitz (BfC) stimmten zwar dem Vorschlag der CWG zu – jedoch mit tiefem, spürbarem Bauchgrummeln. Die Chance auf eine geeinigte paritätische Besetzung der Ortsteilvertretungen wurde vertan. Stattdessen begann ein langwieriger Prozess zur Änderung der Hauptsatzung, der sich über ein Jahr hinzog und von rechtlichen Unsicherheiten begleitet war.

Der Sommer 2024 verging und auch der Herbst war vorüber. Erst im Dezember 2024 war dann die nächste Versammlung zu diesem Thema angesetzt. Die AfD-Stadtfraktion reagierte wieder schneller und stellte einen weiteren Antrag – diesmal mit konkretem Bezug auf § 32a Absatz 2 Satz 1 der Kommunalverfassung M-V. Ziel war es, die Sitze in den Ortsteilvertretungen von Wessin und Gädebehn nicht nach dem Gesamtergebnis der Stadt Crivitz, sondern ausschließlich nach den Wahlergebnissen in den jeweiligen Ortsteilen zu vergeben. Ein juristisch fundierter Vorschlag, der den lokalen Wählerwillen respektiert hätte und eine realistische Sitzverteilung ermöglicht hätte – basierend auf den tatsächlichen Stimmen vor Ort in den Ortsteilen. Dabei wäre diese Lösung greifbar gewesen – und zwar schon im Herbst 2024. Denn die Wahldaten lagen sicherlich archiviert vor. Die Auswertung wäre mit überschaubarem Aufwand möglich gewesen. Keine Spekulation, kein Losverfahren, keine parteipolitische Verzerrung – sondern ein klares, demokratisch sauberes Bild.

Auch dieser Antrag scheiterte – diesmal aufgrund des Einschreitens der Rechtsaufsicht. Verwaltung und Aufsichtsbehörde des Landkreises Ludwigslust-Parchim machten deutlich, dass die Briefwahlergebnisse nicht getrennt nach Ortsteilen ausgewertet worden waren. Ein Versäumnis, das kaum nachvollziehbar ist, zumal die entsprechenden Gesetzesänderungen bereits seit April 2024 bekannt waren. Das Amt Crivitz und die  Wahlleitung waren vermutlich auf die neuen Anforderungen nicht vorbereitet: In den Wahllokalen fehlten separate Briefwahlurnen für Wessin und Gädebehn, und die Stimmen wurden ausschließlich für die Gesamtstadt Crivitz erfasst. Diese Information traf alle Fraktionen der Stadtvertretung überraschend – und bedeutete zugleich, dass eine weitere Möglichkeit zur demokratischen Besetzung der Ortsteilvertretungen ungenutzt blieb. Diesmal nicht aus politischem Kalkül, sondern aus rechtlicher Konsequenz.

Was folgte, war ein politischer Kraftakt – allerdings einer, der mehr Fragen aufwarf als Antworten lieferte. Im Dezember 2024 beschloss die Stadtvertretung von Crivitz, getragen von der Mehrheit der CWG-Fraktion, flankiert von Teilen der CDU und BfC – und bemerkenswerterweise auch mitgetragen von der AfD-Fraktion – eine neue Variante: Die Mitglieder der Ortsteilvertretungen sollten direkt von den Bürgerinnen und Bürgern der Ortsteile gewählt werden, gemäß den Bestimmungen des Landes- und Kommunalwahlgesetzes. Eine Neuwahl also, ausschließlich für die Ortsteilvertretungen.

Natürlich ist die direkte Wahl ein zentraler Bestandteil unserer parlamentarischen Demokratie – und grundsätzlich ein begrüßenswerter Weg, um Bürgerbeteiligung zu stärken. Doch im konkreten Fall wirkte die Entscheidung der Stadt Crivitz eher wie ein überstürzter Vorstoß, ohne die nötigen Voraussetzungen zu schaffen. Die Bürgerinnen und Bürger in den Ortsteilen Wessin und Gädebehn waren über diese neue Möglichkeit nicht informiert worden. Es fehlte an Aufklärung, an Vorbereitung und an öffentlichen Versammlungen, die den Prozess hätten begleiten können.

Was folgte, war ein organisatorischer Kraftakt mit vielen offenen Fragen. Ein neuer Wahlkampf musste aufgesetzt werden, Wahlausschüsse für die Ortsteile mussten gewählt werden – mindestens einer, möglicherweise sogar zwei. Gleichzeitig war unklar, ob überhaupt genügend Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung stehen würden. Man rechnete vorsorglich mit Ergänzungswahlen, zusätzlichen Sitzungen bei Einsprüchen und möglichen Nachwahlen. Auch die finanziellen Auswirkungen waren erheblich: Aufwandentschädigungen für Wahlvorstände, Druckkosten für Wahlscheine und Briefwahlunterlagen, die Besetzung der Wahllokale – all das verursachte Kosten, die in einer Stadt mit ohnehin angespannter Haushaltslage schwer zu stemmen sind. Hinzu kam die Frage, ob das Amt Crivitz überhaupt über ausreichend Personal verfügte, um alle Wahllokale in den Ortsteilen ordnungsgemäß zu betreuen. Die Folge: Der gesamte Prozess zur Konstituierung und Herstellung der Arbeitsfähigkeit der Ortsteilvertretungen verzögerte sich weiter – nun bis mindestens ins zweite Quartal 2025. Was als demokratischer Fortschritt gedacht war, wurde durch mangelnde Vorbereitung und fehlende Transparenz zu einem langwierigen und belastenden Verfahren – für Verwaltung und Bürger gleichermaßen.

Doch damit war die Hängepartie noch lange nicht vorbei. Erst nach weiteren drei Monaten – am 14. März 2025 wurde die überarbeitete Hauptsatzung endlich veröffentlicht. Viele hofften nun, dass die Ortsteilwahlen bald stattfinden könnten. Doch diese Zuversicht hielt nicht lange. Denn die neue Satzung offenbarte gravierende handwerkliche und verwaltungsrechtliche Mängel, die eine Umsetzung erneut verzögerten und den gesamten Prozess zurückwarfen. Die in der Hauptsatzung von Crivitz festgelegten Regelungen zur Wahl der Ortsteilvertretungen erwiesen sich als widersprüchlich und rechtlich kaum haltbar. Für Gädebehn und die umliegenden Ortsteile war vorgesehen, dass jeweils ein Vertreter gewählt wird – mit der Option, bei fehlenden Kandidaten zusätzliche Vertreter aus anderen Ortsteilen hinzuzuziehen. Für Wessin hingegen war ein ganz anderes Verfahren geplant: eine gemeinsame Wahl von fünf Vertretern für drei Ortsteile. Zwei völlig unterschiedliche Modelle – ohne nachvollziehbare Begründung und ohne rechtliche Absicherung.

Die Rechtsaufsicht des Landkreises Ludwigslust-Parchim schritt ein und beanstandete die Satzung zu Recht. Mit der Rücknahme der fehlerhaften Fassung war klar: Eine erneute Überarbeitung war unvermeidlich. Die Stadt Crivitz musste nicht nur die Wahlverfahren überarbeiten, sondern auch die Ortsteilgrenzen präzise erfassen und dokumentieren – eine neue gesetzliche Pflicht, die sich aus § 42 Absatz 1 der geänderten Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern ergibt. Bislang waren die Gemeinden lediglich verpflichtet, die Namen ihrer Ortsteile festzulegen. Nun verlangt das Gesetz eine genaue Beschreibung der geografischen Abgrenzungen – ein Schritt, der nicht nur verwaltungstechnisch aufwendig ist, sondern auch politisch sensibel.

Besonders heikel: Die Ortsteile Wessin und Gädebehn sind durch frühere Fusionsverträge mit der Stadt Crivitz miteinander verbunden. Die neue Rechtslage macht es notwendig, von diesen vertraglichen Regelungen abzuweichen – und zwar mithilfe der sogenannten salvatorischen Klausel, die Anpassungen bei geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen erlaubt. Ein juristisch komplexer Vorgang, der erneut Zeit kostete und die ohnehin schleppende Entwicklung weiter verzögerte bis zum Herbst 2025.

Seit der Veröffentlichung der überarbeiteten Hauptsatzung am 14. Oktober 2025 ist offiziell der Weg für die Ortsteilwahlen in Wessin und Gädebehn frei. Doch faktisch ist bis heute – Stand Ende Oktober – nichts passiert. Kein Wahltermin wurde bekannt gegeben, keine Information ging an die Bürgerinnen und Bürger in den Ortsteilen, keine öffentliche Kommunikation, kein Zeitplan, keine Einladung zur Beteiligung. Die Verwaltung des Amtes Crivitz schweigt. Auch die Stadtspitze – Bürgermeisterin Britta Brusch-Gamm (CWG), ihr Stellvertreter Markus Eichwitz (CWG) und der zweite stellvertretende Bürgermeister Hartmut Paulsen (CDU) – äußert sich nicht und lässt jegliche Kommunikation vermissen. Keine Stellungnahme, keine Erklärung, kein Signal an die Öffentlichkeit. Währenddessen warten die Bürgerinnen und Bürger in Wessin und Gädebehn weiter – seit über 500 Tagen.

Die zentrale Frage bleibt unbeantwortet: Wann dürfen die Ortsteile endlich wieder mitreden? Wann wird gewählt? Wann endet der Zustand, in dem zwei Ortsteile faktisch von der politischen Teilhabe ausgeschlossen sind?

Ebenso auffällig wie das Schweigen zur Wahlorganisation ist die völlige Abwesenheit jeder Debatte über die entstehenden Kosten. Denn klar ist: Die Neuwahlen werden Geld kosten – und zwar nicht wenig. Aufwandentschädigungen für Wahlvorstände, Druckkosten für Wahlunterlagen, Briefwahlorganisation, Porto, zusätzliche Sitzungen, mögliche Ergänzungs- oder Nachwahlen – all das muss finanziert werden. Doch bis heute gibt es keine öffentliche Kostenaufstellung, keine Schätzung, keine Haushaltsplanung. Die Frage, wie diese Ausgaben in den ohnehin angespannten Haushalt der Stadt Crivitz für 2026 integriert werden sollen, wurde schlicht nie gestellt. Warum? Vielleicht, weil die Antwort unangenehm wäre.

Und falls sich doch jemand Gedanken über die Finanzierung machen sollte – ein Vorschlag liegt ja quasi zwischen den Zeilen bereit: Die Stadtvertreterinnen und Stadtvertreter könnten doch einfach auf ihr Sitzungsgeld verzichten, zumindest für die Sitzungen, in denen über die Ortsteilwahlen gesprochen wird. Das wäre nicht nur ein symbolischer Akt der Solidarität mit den Bürgern, sondern auch ein kleiner Beitrag zur Entlastung der Stadtkasse. Aber keine Sorge – das war natürlich nur ein Gedanke.

Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Fazit:

Wenn Demokratie zur Verwaltungsroutine wird, verliert sie ihr Versprechen!

Die Geschichte der Ortsteilvertretungen in der Stadt Crivitz zeigt exemplarisch, wie demokratische Teilhabe scheitern kann – nicht durch offenen Widerstand, sondern durch Verzögerung, Schweigen und strukturelle Unklarheit. Was als Fortschritt gedacht war, wurde durch taktisches Lavieren und mangelnde Vorbereitung zu einem lähmenden Stillstand. Die Bürgerinnen und Bürger in Wessin und Gädebehn wurden über 500 Tage lang von ihrer politischen Mitwirkung ausgeschlossen – obwohl sie gewählt hatten, obwohl sie bereit waren, obwohl die rechtlichen Grundlagen längst existierten.

Demokratie lebt nicht allein von Wahlen, sondern von ihrer Umsetzung. Sie braucht klare Verfahren, transparente Kommunikation und den politischen Willen, Ergebnisse zu respektieren – auch wenn sie unbequem sind. Wenn Verwaltung und Politik sich gegenseitig blockieren, wenn Satzungen fehlerhaft bleiben und Bürger nicht informiert werden, dann wird aus Mitbestimmung ein leeres Versprechen.